Fantastische Kinder- und Jugendliteratur

Fantastik in der Kinder- und Jugendliteratur

Realitätsflucht oder nur ein anderer Blick auf die Realität? Während die Literaturwissenschaftler sich streiten, werfen wir doch einmal einen Blick auf dieses faszinierende Genre. Sie bietet jungen Leserinnen und Lesern nicht nur spannende Abenteuer, sondern auch einen sicheren Raum, um sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen und die eigene Fantasie zu entfalten.

Durchaus interessant ist, dass aus neurobiologischer Sicht Fantasie und reale Sinneswahrnehmung nur graduell zu unterscheiden sind. Die Mechanismen für Vorstellungskraft sowie Erinnern und Wahrnehmung der Umgebung sind identisch. Nicht umsonst heißt es, dass die Bücher, die wir lesen, uns prägen. In diesem Beitrag möchten wir verschiedene Varianten der fantastischen Literatur sowie ihre häufigsten Themen und Motive beleuchten.

Mehr als Kinderkram – Der fantastische Kinder- und Jugendroman bietet mehr

Fantastische Literatur ist beliebt und kann einen wertvollen Beitrag in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen spielen. Sie bietet nicht nur eine Flucht aus dem Alltag, sondern fördert auch Fantasie und Kreativität, indem sie jungen Lesern ermöglicht, sich neue Szenarien und Charaktere vorzustellen. Durch die Identifikation mit den Figuren in fantastischen Geschichten entwickeln Kinder und Jugendliche Empathie und soziale Fähigkeiten. Sie versetzen sich in unterschiedliche Perspektiven, in das Fremde, das Andersartige und lernen, die Gefühle und Motive anderer besser zu verstehen.

Fantastische Literatur kann helfen, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen und Ängste und Unsicherheiten zu bewältigen, indem sie zeigt, wie Helden schwierige Prüfungen bestehen und ihre Ängste überwinden. Zudem vermitteln solche Geschichten moralische und ethische Lektionen, indem sie junge Leser über Konzepte wie Gut und Böse sowie Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit nachdenken lassen.

Schließlich unterstützen fantastische Geschichten die Identitätsbildung und Selbstfindung, indem sie Modelle zur Selbstentwicklung bieten und jungen Lesern zeigen, dass es in Ordnung ist, anders zu sein und ihren eigenen Weg zu gehen. Durch das Eintauchen in magische Welten und das Miterleben aufregender Abenteuer können Kinder und Jugendliche wichtige Lebenslektionen lernen und zu selbstbewussten, kreativen und sozial kompetenten Individuen heranwachsen.

Höchste Zeit also, dieses breit gefächerte und gelegentlich belächelte Genre aus der Schmuddelecke herauszuholen. Fantastik ist durchaus ernst zu nehmende Literatur und wartet, mit so berühmten Figuren wie “Pipi Langstrumpf”, mit Figuren auf, an die wir vielleicht nicht zuerst im Kopf haben, wenn wir an Fantastik denken. Wie jetzt? Bei Fräulein Langstrumpf gibt es doch weder Zauberer noch Drachen oder sonst eine Form von Magie. Stimmt! Sie ist aus dem Kinderroman, den ich hier bereits behandelt habe, zu uns herüber gehüpft, denn auch Pipi zeigt einige Merkmale der Fantastik auf. Werfen wir jedoch zuerst einen Blick auf drei unterschiedliche Erzählmodelle.

Unterschiedliche Modelle

Wie die Magie oder das Fantastische in die Geschichte kommen, dafür können 3 grundlegende Erzählmodelle hergeleitet werden.

  • closed worlds – Das Geschehen spielt von Beginn an in einer anderen Welt. “Der Herr der Ringe” oder auch “Eragon” sind zwei Beispiele.
  • open worlds – Reale Welt und Anderswelt treffen zusammen. In diesem Modell gibt es in der Regel einen Übergang, eine Art Portal, das überschritten wird. “Alice im Wunderland” oder “Die unendliche Geschichte” wären zwei Vertreter.
  • implied worlds – In der Alltagswelt tritt eine fantastische Figur oder ein Gegenstand auf. “Das Sams” oder “Mary Poppins” können als Beispiel herangezogen werden.

Varianten der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur

Fantastik ist vielfältig. Sie kommt in unterschiedlichen Gewändern und muss nicht immer von Drachen und mächtigen Zauberern erzählen.

  1. Komisch-fantastische Kindererzählung – Diese Geschichten verbinden humorvolle Elemente mit magischen oder übernatürlichen Ereignissen. Die Texte sind in der Rege eindimensional und das Unmögliche wird problemlos in den Alltag integriert.
  2. Fantasy – In der Fantasy sind magische Welten und Wesen allgegenwärtig. Diese Geschichten entführen die Leser in ferne Welten, in denen sie Drachen, Zauberer und tapfere Helden treffen.
  3. Future Fiction – Visionen der Zukunft werden entworfen, in der Regel werden politische Systeme, demografische Entwicklungen und Naturkatastrophen thematisiert. Bücher wie „Die Tribute von Panem“ behandeln dystopische Gesellschaften, die zum Nachdenken über unsere eigene Welt anregen.
  4. Urban Fantasy – integriert magische Elemente in eine moderne, städtische Umgebung. Im Gegensatz zum ländlichen Raum treffen in Metropolen eine Vielzahl unterschiedlicher Charaktere und Bevölkerungsgruppen aufeinander.
  5. Crime Fiction – Fantastische Krimis verbinden Elemente des Detektivromans mit übernatürlichen oder magischen Aspekten.
  6. Steampunk – Viktorianische Ästhetik mit futuristischer Technologie. Der Ehrenkodex des britischen Gentlemans, der geniale, jedoch korrumpierte Wissenschaftler, sowie konservative Frauenbilder werden häufig parodiert.

Themen und Motive der fantastischen Literatur

Es lässt sich nicht grundsätzlich zwischen Motiven der Fantastik für Erwachsene und der für jüngere Leser:innen unterscheiden. Ohne lässt sich beobachten, dass die Grenzen fließend sind und gerade Titel, die eigentlich für Jugendliche angedacht sind, die erwachsene Leserschaft erobern und begeistern. Fantasy wird so nicht selten zum All Age Roman.

Im Folgenden zähle ich einige häufig vertretene Motive auf. Natürlich gibt es unzählige weitere und da wir uns in der Fantastik bewegen, werden sicher noch neuartige Motive hinzukommen. Vielfach gibt es mehrere Motive in einem Buch. Das ist durchaus legitim.

  1. Fantastische Schwelle – Die fantastische Schwelle markiert den Übergang von der realen in die magische Welt. Dies kann ein Portal, eine Tür oder ein besonderer Moment sein, der den Beginn des Abenteuers signalisiert. In „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende tritt der Protagonist Bastian durch ein Buch in eine andere Welt ein.
  2. Der Spiegel – Ein häufiges Motiv, das als Tor zu einer anderen Realität dient. Der Spiegel dient zur Offenbarung des Verborgenen, sie machen entfernte Personen, Plätze und Gegenstände sichtbar. Das Biest in “Die Schöne und das Biest” besaß einen solchen. Auch in “City of bones – Chroniken der Unterwelt” kommen Spiegel vor.
  3. Die Reise oder Quest – Viele fantastische Geschichten drehen sich um eine Reise oder Quest, bei der die Protagonisten Herausforderungen meistern und sich weiterentwickeln. „Der Hobbit“ von J.R.R. Tolkien erzählt die Geschichte von Bilbo Beutlins Abenteuerreise. Die klassische Heldenreise also. Wenn du so einen Roman schreiben möchtest, empfehle ich dir unbedingt, dich mit diesem Modell auseinanderzusetzen.
  4. Zeitreise – Sie ermöglichen es den Figuren, in die Vergangenheit oder Zukunft zu reisen und dort Abenteuer zu erleben. In Kerstin Giers “Edelstein”-Trilogie werden mystische Elemente, eine Prophezeiung und eine Zeitreisemaschine kombiniert.
  5. Der Traum – Im Traum kann Unmögliches möglich werden. So dient der Traum auch als Erklärungsstrategie, wo zum Schluss die Ereignisse als bloßer Traum erklärt wird. “Lucy ist heute Piratin” ist ein solches Beispiel.
  6. Lebendige Spielzeuge – Spielzeuge, die zum Leben erwachen, verwischen die Grenze zwischen Realität und Fantasie verwischt. Das kindliche “Als ob”-Spiel wird Wirklichkeit. In „Toy Story“ werden Spielzeuge lebendig. Auch “Winnie Pooh” ist ein berühmter Vertreter. Eine Eigenart: Werden diese Spielzeuge lebendig, erstarren sie, sobald Erwachsene auftauchen.
  7. Miniatur- und Geheimgesellschaften – Ähnlich wie bei lebendigen Spielzeugen können nur die Kinder wahrnehmen. In „Die Borger“ leben kleine Wesen in den Häusern der Menschen und existieren von deren Überresten. Auch “Karlson von Dach” ist eine Figur, die im Verborgenen vor den Erwachsenen lebt. Eine Abwandlung des Motivs ist die Zauberwelt, die für Muggel nicht sichtbar ist.
  8. Magie – Zaubern können viele Figuren in der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur. Hexen und Zauberer geben sich seit dem berühmten Merlin ein Stelldichein. Im Gegensatz zum Volksmärchen sind Hexen in der Regel keine bösen Frauen, sondern eher eigenwillige, ein wenig verschrobene, oft liebenswerte Figuren. Ob in Form von Zaubersprüchen, magischen Gegenständen oder übernatürlichen Fähigkeiten: Magie und deren unterschiedliche Systeme sind aus der Fantastik kaum wegzudenken.
  9. Das Buch – Bücher selbst können in fantastischen Erzählungen die Welt verändern und sind fester Bestandteil des Repertoires. Bücher in Büchern heben oft den Charakter des Mediums heraus und schließen manchmal eine gewisse Eigenwerbung nicht aus.
  10. Verwandlung – Metamorphosen, sei es in Tiere, andere Menschen oder übernatürliche Wesen, sind ein häufiges Motiv. Ob Vampir, Werwolf oder Fuchs, oft sind die Figuren dem Schauerroman entlehnt, werden domestiziert und in die Gesellschaft integriert. “Reckless” oder “Die Vampirschwestern” wären nur zwei Beispiele.
  11. Das fremde Kind – Das Motiv des fremden Kindes beschreibt oft ein Kind, das anders ist oder aus einer anderen Welt stammt. Fremde Kinder haben häufig eine geheimnisvolle Herkunft, sind elternlos, haben ein unbestimmtes Alter, ein androgynes Wesen, ein auffälliges Äußeres, besondere Fähigkeiten und werden nicht erwachsen. Nicht alle Merkmale müssen vorhanden sein, aber sie alle sind durch eine besondere Begabung hervorgehoben und tragen gleichzeitig ein Stigma. “Momo”, “Pipi Langstrumpf”, das “Sams”, “Karlson vom Dach”, aber auch Harry Potter sind alle berühmte fremde Kinder.

Fazit

Die fantastischen Erzählungen in der Kinder- und Jugendliteratur bieten eine reiche Vielfalt an Themen und Motiven, die weit über einfache Unterhaltung hinausgehen. Sie ermöglichen es jungen Lesern, ihre Vorstellungskraft zu entwickeln, komplexe Fragen zu erforschen und tief in magische Welten einzutauchen. Egal, ob humorvoll, abenteuerlich oder düster, die Fantastik bietet für Kinder und Jugendliche wundervolle, magische und fantasieanregende Geschichte. Aber nicht nur das. Immer mehr Erwachsene erfreuen sich ebenfalls an Geschichten, die eigentliche für ältere Jugendliche geschrieben wurden. So eroberte die “Biss”-Reihe die Kinoleinwand, “Die Chroniken der Unterwelt” war ein riesiger Bucherfolg und Harry Potter eröffnete ein ganz neues Universum an Möglichkeiten.

Nun könnten Autoren glauben, die Fantastik wäre ein sicheres Genre mit breitem Zielpublikum. Leider muss ich dich ein wenig enttäuschen. Gerade Verlage setzen vielfach auf erfolgreiche Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum. Deutsche Autoren bekommen nur schwer einen Platz. Versuchen kannst du es und bei einem kleineren Verlag kannst du trotzdem eine echte Chance haben. Natürlich steht dir auch der Weg übers Selfpublishing offen und mit einer starken Geschichte und einem ausdrucksstarken Cover, kannst du große und kleine Fans begeistern.

Ärger mit dem Manuskript? Ich helfe dir gerne weiter.

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