Das Aber im Lektorat und dein Selbstwert

Kritik und Selbstwert

Als ich vor Jahren mein erstes Manuskript ins Lektorat gab, war ich fürchterlich aufgeregt. Es fühlte sich an, als hätte ich gerade eine wichtige Prüfung geschrieben und nun musste ich schier endlose Wochen auf das Ergebnis warten.

Das Feedback kam dann auch und schon im ersten Absatz grinste mich das fiese kleine Wort an – ABER.
Je weiter ich las, desto frustrierter wurde ich. Eine Anhäufung aus Fragen, Bitten, Forderungen. Ich wusste nicht mehr, wie ich diesen Berg jemals bewältigen sollte. Es war ein stetiger Strom an Verbesserungsvorschlägen. Manchmal zehn auf einer einzigen Seite. Es war so frustrierend! Da halfen auch die lobenden Worte nichts, die hier und da aufblitzten. Ich konnte sie kaum hören – weil das Aber alles übertönte.

Mein Selbstwert hockte sich heulend in eine Ecke, während ich stoisch Kommentar für Kommentar abarbeitete und mir immer wieder sagte, dass ich ja nicht für Lobhudelei bezahle. Sondern dafür, dass meine Lektorin die Schwächen im Text erkennt und anspricht, bevor es negative Rezensionen von den Lesenden hagelte.

Und trotzdem tat es weh. Es tat weh, weil Schreibende an ihren Texten hängen. Weil sie ihr ganzes Herzblut in ihre Geschichten stecken. Weil Träume daran hängen und nicht zu selten persönliche Erfahrungen und Weltbilder, auch wenn es sich nicht um eine Autobiografie handelt.

Was das Aber mit uns macht

Als Lektorin möchte ich ermutigen, bestärken und zeigen, was schon richtig gut ist. Und gleichzeitig ist es meine Aufgabe, ehrlich zu sein – damit dein Text genau die Wirkung entfaltet, die du dir wünschst. Und ja, es wird viele Anmerkungen geben. Viele Nachfragen und Vorschläge, ob du einen Satz nicht umformulieren kannst. Ein holpriger Übergang? Logikbrüche, inkonsistente Figuren, Redundanzen, abgetrennte Körperteile (wenn nicht explizit erwünscht) – all das und mehr markiere und kommentiere ich. Und Lob gibt es auch, aber das wird nicht der Schwerpunkt sein, denn dann kannst du das Manuskript ja auch deiner Mama oder einem Freund geben.

Das bedeutet Sätze wie:

  • „Formuliere das bitte noch etwas klarer …“
  • „Beschreibe genauer wie …“ – Bei Schreibenden, die gerne mal zu knapp formulieren.
  • „Kann das wirklich sein?“
  • „Hier unbedingt noch mal recherchieren.“
  • „Entscheide dich für ein Adjektiv.“ – Der Klassiker!
  • „Wer sagt das?“
  • „Findest du vielleicht ein anderes Verb?“
  • „Woran zeigt sich das?“
  • „Wie fühlt sich das für die Figur an? Was empfindet sie dabei?“
  • „Überlege noch mal, welche Funktion dieser Abschnitt/diese Figur hat …“
  • „Ich glaube, ich weiß, was du meinst – aber …“ – Schreibe ich auch gerne. Dann ist die Passage noch unklar.

Diese Kommentare sind keine Abwertung. Sie sind ein Werkzeug.
Sie bedeuten nicht, dass dein Text schlecht ist – sie bedeuten, dass er noch nicht da ist, wo er sein kann. Aber du kannst dich damit auf den Weg machen. Das ist kein Scheitern. Es ist Wachstum.

Wenn das Aber zur Schreibkrise wird – und wie du wieder rauskommst

Schneller als wir schauen können, löst Kritik manchmal eine echte Schreibkrise aus. Ein einzelner Kommentar, ein Nachhaken an einer Stelle, bei der du vielleicht selbst unsicher warst – und plötzlich kippt alles. Die Sätze wollen nicht mehr fließen. Statt Motivation kommt Frust. Du fühlst dich völlig unzulänglich. Warum bildest ausgerechnet du dir ein, Autor:in sein zu wollen. Vielleicht taugst du doch nur für den öden Bürojob. Oder solltest du ein kleines Café in der Heide eröffnen und damit deinen Lebensunterhalt verdienen?
Diese Gedanken sind völlig normal. Und du bist damit nicht allein.

Was kannst du tun, wenn du merkst, dass dich ein Lektorat aus der Spur bringt?

Leg es weg.
Wirklich. Lies die Anmerkungen einmal durch. Von mir bekommst du immer ein Begleitschreiben per E-Mail, worin du die größten Punkte zusammengefasst findest. Dann schließe das Dokument und leg es beiseite. Geh spazieren. Koch was Gutes. Schau einen Film. Schlaf drüber. Du musst nicht innerhalb von 24 Stunden reagieren.

Schreib eine böse E-Mail. Und schick sie NICHT ab.
Das klingt albern, ist aber extrem hilfreich. Lass den Frust raus. Schreib auf, warum du diese Kritik für übertrieben hältst, warum du das NICHT ändern wirst, und was dein Lektor oder deine Lektorin offenbar nicht verstanden hat.
Dann lies die Mail noch mal. Lass sie über Nach liegen und dann löschst du sie.
Denn in 90 % der Fälle wirst du am nächsten Tag feststellen: Okay … vielleicht ist da doch ein Punkt.

Verschieb den Termin – wenn nötig.
Falls ihr einen zweiten Durchgang vereinbart habt, kannst du darum bitten, den Abgabetermin zu verschieben. Manchmal geht das, leider nicht immer, aber frag einfach nach. Niemand hat etwas davon, wenn du dich durch die Überarbeitung quälst. Lieber mit klarem Kopf und neuer Energie zurückkommen.

Geh Schritt für Schritt vor.
Du musst nicht alles auf einmal umsetzen. Schau dir einen Kommentar an. Nur einen. Überlege dir, wie du damit umgehen willst – und dann gehst du zum nächsten. Kommentar für Kommentar, so wie Beppo der Straßenfeger im Kinderbuch Momo die Straße auch nur Besenstrich für Besenstrich fegt.

Ordne ein: Ist da etwas dran?
Du musst nicht alles annehmen. Frage dich: Ist da was dran? Sehe ich das jetzt auch? Was wollte ich ausdrücken? Würden meine Leser:innen auch darüber stolpern?
Du musst nicht allem zustimmen. Aber du darfst dich mit allem auseinandersetzen.

Vertrau dem Prozess – und deinem Lektor oder deiner Lektorin.
Wir sitzen im selben Boot. Ich will, dass dein Text funktioniert. Dass deine Geschichte wirkt. Ich wünsche mir, dass du am Ende ein Buch in den Händen hältst, auf das du stolz bist. Auf das auch ich stolz sein kann, weil ich dich ein winziges Stück begleiten durfte.
Feedback ist nie gegen dich gerichtet – es ist für deinen Text.

Und ja: Manchmal tut das weh.
Aber wenn du durchhältst, dich Schritt für Schritt wieder annäherst, dann wartet am Ende etwas, das größer ist als das, was du vorher hattest: Ein Text, der nicht nur gut gemeint – sondern richtig gut ist.

Lerne, das Aber zu umarmen

Ich weiß, wie schnell ein Aber all das Gute überschattet. Wie sich das Selbstwertgefühl in Sekunden klein macht. Deshalb möchte ich dich ermutigen, deinen Blick auf das Feedback zu verändern:

🫶 Lass dich darauf ein. Als Impuls, nicht als Urteil.

🫶 Sieh auch auf das, was bereits gut ist. Es ist genauso ehrlich wie der kritische Hinweis.

🫶 Die Kritik ist eine Chance, dich und deinen Text weiterzuentwickeln. Es bringt dich weiter.

🫶 Bleibe offen und blockiere nicht. Du musst nicht jeden Hinweis annehmen, aber prüfe genau.

🫶 Dein Text muss nicht perfekt sein. Und die Kritik bezieht sich nie auf dich als Person. Denn du bist wunderbar!

Denn das Aber der Lektorin ist kein Nein.
Es ist ein Noch nicht.
Und manchmal auch: ein Da geht noch mehr – und es lohnt sich.

Du darfst dieses Aber umarmen.

Suchst du Unterstützung bei deinem Herzensprojekt? Dann schicke mir eine Nachricht mit deiner Leseprobe. Ich freue mich auf deine Geschichte!

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